Hurra, wir haben Nachwuchs!
„Klasse“, dachte ich, „nur junge Leute!“ Ich fahre mit einer Gruppe von Bikern durch Thüringen und uns begegnen die wildesten Jugendgruppen auf herrlich gepflegten SIMSONs. Die ganze Vogelreihe in wilder Laufbahn: Das ist artgerechte Haltung! Es ist Sommer, so wie im kitschigen Werbeprospekt, heiß, von Regenkombi keine Spur, dazu benötigen wir nicht einmal mehr die Wetter-App. Die jungen Wilden genießen ihr Leben und die Mobilität des Zweirades. Diese vitale Ausstrahlung steckt an, wir winken uns gegenseitig zu und ich fahre mit einem breiten Lächeln unterm Helm weiter. Was wohl die jungen Wilden über uns Alteisen denken, die sich mit 15-30fachem Hubraumüberschuss durch die Gegend schieben? Während wir schwitzend im vollen Bikerornat unterwegs sind, lässt es die Jugend locker luftig angehen und fährt mit kurzer Hose, T-Shirt und Helm durch das sommerliche Vergnügen.
Unser Ziel ist in Leutenberg südlich von Saalfeld der „Sormitzblick“, eine der ältesten Bikerherbergen im Osten. Sie erinnert mich an die Villa Löwenherz und ist ebenfalls eine Institution bei den Motorradfreunden, die entweder – so wie wir – gezielt von Ferne anreisen oder – was den Alltag eher prägt – aus der Region andüsen, um zu klönen, sich zu erfrischen und zu informieren, was gerade das Bikerdasein bewegt. Super Atmosphäre und absolut authentisch, was das Team dort vor Ort realisiert. Jana und Marc führen den „Sormitzblick“ in zweiter Generation. Das Ehepaar sind beide ausgebildete Koch und Köchin, was vor allem den ausgehungerten Bikern hilft, endlich einmal wieder ein wenig Hubraum auf die Knochen zu bekommen.
Leutenberg liegt zwischen dem „Naturpark Thüringer Wald“ und dem „Naturpark Thüringer Schiefergebirge“. Der Erstere ist bekannt durch den Rennsteig, wo im Westen die Stadt Suhl zu finden ist, die ein tolles und sehenswertes „Fahrzeugmuseum“ bietet, in dem die spannende Entwicklungsgeschichte von SIMSON erzählt wird und sämtliche Exponate ausgestellt sind, die wir teils gerade in freier Laufbahn erleben dürfen. Der letztere Naturpark begeistert uns mit dem „Hohenwarte-Stausee“ und der „Bleilochtalsperre“, die den größten Stausee Deutschlands entstehen lässt. Als wir durch diese Gegend Richtung Schleiz fahren, kommt der Gedanke auf, dass diese Rennstrecke in Norwegen liegen könnte; überall sehen wir bewaldete Fjordlandschaft und cruisen über kleine Serpentinen auf und ab. Da es sehr warm ist, nutzen wir auch gerne die vielen Bademöglichkeiten. Ein „skandinavischer“ Traum.
Als Tagesabschluss fahren wir um den Hohenwarte-Stausee im Uhrzeigersinn eine letzte Runde und genießen diese tollen Sommertage, diese einmalige Atmosphäre und diese „Vogelschwärme“, die diese Gegend mit einem herrlichen Zweitaktduft parfümieren. Bei einer kleinen Pause am Straßenrand rauscht eine gelbe SIMSON an uns vorbei und der junge Fahrer winkt uns wie gewohnt zu – und wie gewohnt grüßen wir zurück. Nach kurzer Zeit kommt der Fahrer allerdings zurück, hält und fragt, ob er helfen kann? Sein Gedanke war, nachdem er uns passiert hatte, dass wir eventuell eine Panne haben und das mobile Telefon keinen Empfang hat. Deshalb ist er sicherheitshalber umgekehrt. Wir sind erstaunt über diese Freundlichkeit und Rücksicht! Nach kurzem Austausch fährt er wieder davon und wir haben erfahren, dass er die SIMSON von seiner Oma übernommen hat, die sie damals in der DDR als Erstbesitzerin erwarb. Also ein echter Familienschatz.
Auch wir fahren weiter und es dauert keine fünf Minuten, da kommt hinter einer 180° Fjordkurve eine S-Kurve, in der komplett eine LKW-Ladung Schotter abgekippt wurde, ohne diesen fest zu planieren. Jeder Endurofahrer hätte locker eine paar schöne „Anlieger“ in diese teils 15 cm hohe Kiesellandschaft fahren können. Für alle anderen Verkehrsteilnehmer ist es nur der blanke Horror, denn der einzige Hinweis am Straßenrand ist – wie wir erst im Nachhinein bei genauerer Recherche sehen – ein kleiner Warnhinweis (Verkehrsschild 101-52), wie wir ihn schon hundertfach gesehen haben, wenn Straßen provisorisch geflickt werden und kleine Kieselreste auf der Fahrbahn zu erwarten sind. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung gibt es nicht! Als alter Gespannfahrer kann ich es jugendlich locker sehen, aber die Zweiradfahrer kommen mächtig ins Schlingern. Auch die Autofahrer sind überrascht, plötzlich eine Schotteretappe vorzufinden, in der die Kiesel nur so durch die Gegend – und ans Fahrzeug – fliegen. Diese Situation offenbart eindeutig fahrlässigen Straßenbau.
Am Ende der S-Kurve erschrecke auch ich, denn auf der Gegenseite liegt die gelbe SIMSON. Der freundliche Jugendliche läuft ohne Helm über diese Sandwüste und flucht wie ein Rohrspatz (den es in der Vogelreihe in dieser Ausführung nicht gibt). Ein Autofahrer hat schon gehalten und auch wir halten an, sichern die Unfallstelle und schauen nach dem gestürzten Fahrer. Er blutet am rechten Arm und am rechten Bein, ist auf die rechte Seite gestürzt und über die Gegenfahrbahn auf den Grünstreifen links gerutscht – zum Glück nicht in den Gegenverkehr! Der Schreck ist groß – und die Wut! „Schaut euch die SIMSON an! Die Blinker, die Fußraste, der Gasgriff; alles kaputt!“ Der junge Wilde ist richtig außer sich, dass der Familienschatz so lädiert vor ihm steht, wegen so einer Dummheit im Straßenbau. Er greift in die Gesteinswüste und schmeißt mehrere Hände voll in alle Himmelsrichtungen: „Wie kann man so einen Scheiß machen? Schaut euch das an!“ Ich kann seine Wut verstehen und bin nur froh, dass er lebt und noch mit Steinen schmeißen kann.
Wir versuchen, ihn zu beruhigen, versorgen seine Abschürfungen, indem wir ihm aus dem Verbandskasten Kompressen und Verbände anlegen und überlegen am sicheren Straßenrand, was zu tun ist. Der Jugendliche ist versorgt und beruhigt sich. Der Autofahrer verabschiedet sich freundlich und fährt weiter, weil wir zugesagt haben, beim Jugendlichen zu bleiben. Wir inspizieren die SIMSON, die den Ausflug ins Gelände gut überstanden hat: Blinker blinken noch, die Fußraste ist gerade, Gasgriff lässt sich drehen. Nach drei Kicks läuft auch der Motor wieder. Da der Jugendliche die restlichen 20 Kilometer nach Hause selbst fahren will, beschließen wir eine Konvoifahrt, um ihn zu begleiten. Er verspricht, vorsichtig zu sein, zieht den Helm auf und fährt los. Wir folgen ihm und ich als Gespannfahrer fahre am Ende, um alles – vor allem auch den Verkehr von hinten – im Auge zu haben.
Die ersten Kilometer laufen gut, der Jugendliche scheint auf der SIMSON seine Wut und seinen Schmerz dem Fahrtwind hinzugeben. Als wir auf die B 85 einfädeln, lässt er den Familienschatz laufen. Das Navi zeigt 56 km/h und es gibt keinen Drängler von hinten. Alles läuft entspannt. In Saalfeld angekommen, grüßt „unser Patient“ schon wieder Zweiradfreunde, um dann in einem Innenhof abzubiegen. Er hält kurz und winkt uns zum Dank mit seinem verbundenen Arm. So war es besprochen: wir begleiten ihn nach Hause und dann geht er gleich zum Arzt, um die Wunden gründlich versorgen zu lassen.
Wir sind froh, dass er wieder gut zu Hause angekommen ist und hoffen, dass er seine Lehren aus dem Abenteuer ziehen wird und die Oma nicht zu sehr schimpft über die angeraute SIMSON. Wahrscheinlich erzählt sie ihm auch eine Fallgeschichte aus der Jugend. Auch das gehört zur artgerechten Haltung. Ich lächle unterm Helm bei der Rückfahrt, weil mich der Jugendliche an mich selbst erinnert. War ich damals anders? Nach dem Lächeln kommt die Erkenntnis, dass mit solchen freundlichen, patenten Jugendlichen uns nicht bange sein muss vor der Zukunft. Hurra, wir haben Nachwuchs!
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Der MOGO ist tot. Es leben die Mogos!
– Ein Nachruf –
Der MOGO war ein „Motorradgottesdienst“ in Hamburg, der Anfang der 1980er klein begonnen hatte, dann auf einzigartige 40.000 Besucher:innen anwuchs, um dann wieder klein zu enden. Am 30.11.2024 wurde der bundesweit bekannte MOGO in Hamburg nach vierzig Jahren eingestellt.
Entstanden ist dieser Gottesdienst durch den Polizeiseelsorger Hinze, der in den wilden Achtzigern eine Brücke zwischen der Polizei und den „Rockern“ auf Zweirädern in der Hansestadt bauen wollte. Ein Projekt des Kennenlernens und des Miteinanders! Es hat gut funktioniert. Als Ende der 1990er Jahre Pastor Hinze sein Amt an Pastor Faehling übergab, hatte der MOGO 10.000 Stammkund:innen, und ein Konvoi von Biker:innen fuhr quer durch Hamburg, um für ein gutes Miteinander aller Verkehrsteilnehmer:innen zu demonstrieren.
Der neue Pastor gründete mit Ehrenamtlichen einen Verein zur Organisation der kirchlichen Großveranstaltung und die fast 400 Helfer:innen bildeten eine eigene MOGO-Gemeinde. Ein professionelles Büro wurde eingerichtet und das Seelsorge-Projekt Bikers Helpline ging zu der Zeit in Planung: die Blütezeit des MOGO. Anfang des Milleniums kamen 40.000 Biker:innen aus ganz Europa nach Hamburg; die weiteste Anfahrt hatte ein Bikerpastor aus Südafrika. Unterstützt wurde auch das Projekt einer Bikerbibel als christliche Begleitung für unterwegs. Die Städtepartnerschaft mit St. Petersburg blüte und jährlich besuchten uns russische Christ:innen mit den Motorrädern oder wir trafen uns zur gemeinsamen Tour in Russland. Ein sehr großes Netzwerk war entstanden und die Brücke des Kennenlernens und Miteinanders reichte weiter als ehemals gedacht.
2014 hörte Pastor Faehling auf und ein jüngerer, qualifizierter und erfahrener Nachfolger stand am Start. Leider hat die Kirchenleitung diese Besetzung seinerzeit verhindert und allen Beteiligten wurde damals klar, dass der MOGO nicht in der Amtskirche gewollt war. Danach beginnen die Wirren: Die Angestellten im Büro werden entlassen, Hunderte von Helfer:innen verlassen enttäuscht „ihren“ MOGO und auch die Seelsorge-Einrichtung Bikers Helpline macht sich selbständig.
Nach mehreren Vakanzvertretungen wurde Pastor Lemke von der Amtskirche zur Verwaltung des MOGO eingesetzt. Eingeweihte sprachen vom „Nachlassverwalter“, der nun allein im Büro saß und einen neuen Stamm von Helfer:innen sammelte. Derweil nahmen Jahr für Jahr die Besucherzahlen und die Sponsoren rapide ab. Der NDR berichtete am Ende in den Medien von „einigen Hundert“ Besucher:innen. Somit war es nicht überraschend als Pastor Lemke den MOGO verließ. Der letzte MOGO 2024 wurde von einem unbekannten Pastor aus Lübeck begleitet. Das Engagement der Ehrenamtlichen lief abermals ins Leere. Nun ist der MOGO Hamburg tot.
Da der MOGO einzigartig, aber nicht der einzige Motorradgottesdienst war, können alle christlichen Biker:innen hoffen, auch 2025 segensreiche Mogos erleben zu können. Überall im Land gibt es Motorrad begeisterte Christinnen und Christen, die vor Ort zu tollen, authentischen Treffen einladen. Da Motorradfahren in der Großstadt eh nicht soviel Spaß macht, winkt nun ein beseelter Ausflug ins Grüne, um sich auch in Zukunft inspirieren zu lassen durch nette, engagierte Menschen – und hoffentlich gleichzeitig durch den Frieden stiftenden Geist Gottes. Es leben die Mogos!
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„Haste mal ´ne Spende?“
Allein die Tatsache, dass Bikers Helpline e.V. eine Internetseite pflegt und einen telefonischen Notdienst organisiert, verursacht Kosten, die uns in Rechnung gestellt werden. Auch die Geschäftsstelle braucht Licht, Heizung, Telefon, Computer usw. Alles selbstverständlich für eine verlässliche Arbeit, aber ebenso selbstverständlich, dass der Verein dafür auch zahlen muss. Seit 20 Jahren sind wir aktiv und immer haben uns die Spenden von Klubs und Privatpersonen oder die gesammelten Kollekten von Gottesdiensten über die Zeit geholfen. Wir bekommen leider keine finanzielle Unterstützung von der Landeskirche, da wir bundesweit helfen.
Da wir allesamt im Team ehrenamtlich arbeiten, benötigen wir keine Personalkosten, was unser Budget übersichtlich und uns sehr flexibel macht. Wie andere Vereine und Initiativen benötigen allerdings auch wir finanzielle Unterstützung und bitten deshalb um eine Spende. DANKE!
Unser Spendenkonto lautet:
Bikers Helpline e.V.
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BIC: DRESDEFF200
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